Anschlag am Flughafen London Heathrow – und Hauptkommissar Leo Schwartz ist mittendrin. Der Anschlag hat keine großen Auswirkungen. Die beiden Bomben haben kaum Schaden angerichtet, und es gibt keine Toten und nur wenige Verletzte. Leo bekommt die Genehmigung, sich an den Ermittlungen beteiligen zu dürfen.
Was die Ermittler aufdecken ist grauenhaft, denn derjenige, der hinter dem Anschlag in Heathrow steckt, setzt die britische Regierung unter Druck…
1.
Das Wochenende in London war für Leo Schwartz viel zu schnell vorbei. Es war höchste Zeit zu gehen, das Taxi wartete bereits. Der Abschied von seiner Freundin Sabine Kofler fiel ihm heute besonders schwer. Am liebsten wäre er geblieben oder hätte sie einfach mit nach Hause genommen, aber das ging nicht. Sabine hatte hier noch einen Job zu erledigen, der sehr viel Zeit in Anspruch nahm. Mehr, als er oder sie es für möglich gehalten hatten. Sie war Journalistin und nach vielen Jahren Durststrecke hatte sie nach der Reportage im letzten Herbst, bei der sie sich kennengelernt hatten, sehr viel zu tun. Leo gönnte ihr den Erfolg, trotzdem hätte er sie viel lieber bei sich in Deutschland gehabt.
„Soll ich dich nicht doch zum Flughafen begleiten? Dann hätten wir noch eine Stunde gemeinsam“, bettelte Sabine.
„Nein, lieber nicht. Ich hasse Abschiede, besonders an Flughäfen oder Bahnhöfen. Ich werde jetzt einfach in das Taxi steigen und mich nicht mehr umdrehen. Dasselbe erwarte ich von dir, hast du mich verstanden? Du machst dich fertig für deinen nächsten Termin, viel Zeit bleibt dir nicht mehr.“ Leo gab ihr noch einen letzten Kuss und stieg in das Taxi, in dem der Fahrer geduldig wartete. Eine Fahrt zum Flughafen Heathrow war lukrativ, da kam es auf die paar Minuten nicht an. Dann war der Fahrgast eingestiegen und es konnte losgehen.
Leo wollte sich nicht umdrehen, konnte aber nicht anders. Sabine stand am Straßenrand und winkte wie verrückt. Hätte er sie einfach ignorieren sollen? Er winkte zurück, bis er mit dem Taxi außer Sichtweite war.
Leo befand sich in einer Zwickmühle, denn schon lange hatte er genug von seinem Job bei der Mordkommission der Kriminalpolizei. Daran änderte auch die Beförderung vor zwei Wochen zum Hauptkommissar nichts, die ihm vor vier Jahren durch einen unverzeihlichen Fehler aberkannt worden war. Ihm bedeutete diese Beförderung nichts und deshalb sprach er nicht darüber, mit niemandem. Natürlich wusste sein Chef davon, aber ihn hatte er gebeten, darüber zu schweigen.
Leo haderte mit seinem Leben. Er war jetzt dreiundfünfzig Jahre alt und ertrug diesen Dreck nicht mehr, mit dem er tagtäglich konfrontiert wurde. Außerdem wurde er langsam allergisch auf die vielen Lügen, die ihm wieder und wieder aufgetischt wurden. Oft sogar mit einem fetten Grinsen der Leute, die damit scheinbar kein Problem hatten. Seit er damals bei der Polizei angefangen hatte, war er immer von seiner Berufswahl überzeugt gewesen, aber seit einigen Wochen zweifelte er daran. War es wirklich richtig gewesen, diesen Weg einzuschlagen? Wäre sein Leben nicht sehr viel ruhiger und sicherer verlaufen, wenn er sich für einen anderen Job entschieden hätte? Seiner Sabine hatte er sich an diesem Wochenende anvertraut, denn sie spürte schon lange, dass etwas nicht stimmte und dass er kurz davor war, alles hinzuschmeißen. Stundenlang hatten sie darüber gesprochen, ohne dass Leo zu einem Entschluss gekommen war. Sabine stand hinter ihm, obwohl sie davon überzeugt war, dass er genau am richtigen Platz war – bei der Kriminalpolizei. Sabine meinte, dass er nur einen erholsamen Urlaub bräuchte, mehr nicht. Ob sie damit richtig lag?
Das Taxi fuhr den inzwischen vertrauten Weg zum Flughafen Heathrow, den er fast schon auswendig kannte. Sabines Job zog sich mehr und mehr in die Länge, was ihm ebenfalls langsam auf die Nerven ging, er aber niemals zugegeben hätte. Wie die temperamentvolle Sabine darauf reagieren würde, konnte er sich lebhaft vorstellen. Nein, auf eine Szene konnte er gerne verzichten. Er gab sich ihr gegenüber als verständnisvollen Partner, der ihr den Rücken stärkte und dem es nach außen hin nichts ausmachte, bereits zum fünften Mal zu ihr nach London zu reisen.
Das Taxi war in Heathrow angekommen. Leo bezahlte, ohne darauf zu achten, wie hoch die Summe in Euro war, was für ihn als Schwabe außergewöhnlich war. Sollte der Typ ihn doch übers Ohr hauen, das war ihm jetzt auch egal. Sonst achtete er normalerweise auf jeden Cent, was ihm oft den Spott der bayerischen Kollegen und Freunde einbrachte.
Gepäck hatte Leo nicht bei sich, deshalb checkte er sofort ein. Das Wenige, das er übers Wochenende brauchte, passte locker ins Handgepäck. In London war es, wie zuhause auch, im Mai seit Tagen ungewöhnlich heiß geworden, weshalb er die Lederjacke auszog und locker über die Schulter hängte.
Die Sicherheitskontrolle war heute abermals völlig überzogen und lächerlich, er musste sogar seine Stiefel und Strümpfe ausziehen. Was sollte er hierin schmuggeln? Ob er dem Mann sagen sollte, dass auch er Polizist war? Was würde das ändern? Der freundliche, aber distanzierte Beamte hatte noch nicht genug gesehen und bat Leo ins angrenzende Zimmer. Was sollte der Scheiß? Musste er sich jetzt auch noch ausziehen?
Der englische Kollege ging wieder und Leo musste lange warten. Dann kam endlich ein Mann um die vierzig ins Zimmer, der in zivil gekleidet war und es nicht für nötig befand, sich vorzustellen. Er nickte nur und nahm wortlos Leos Personalausweis vom Tisch, den er ausgiebig studierte.
„Brieftasche!“, sagte er auf deutsch.
„Können Sie mir sagen, was…?“
„Brieftasche!“, wiederholte der Mann, der Leo dabei abschätzend ansah und dabei auf seinem Oberkörper hängenblieb.
Jetzt bekam Leo so langsam eine Ahnung, worum es ging: Es war das T-Shirt! Darauf war die Queen unvorteilhaft mit dickem Hintern auf einem Motorrad abgebildet, wobei sie den Mittelfinger streckte. Als er das T-Shirt in einem kleinen Laden nahe der Oxford Street entdeckte, fand er das sehr witzig. Aber für den heutigen Tag war das mehr als unangebracht, er hätte sich mehr Gedanken darüber machen sollen. Aber das war nur ein T-Shirt, mehr nicht. Die Engländer waren doch als humorvoll bekannt. Ob der Humor endete, wenn es um die Queen ging? Leo zögerte. Sollte er sich bei dem Mann entschuldigen? Nein, warum sollte er? Er hatte das T-Shirt schließlich in London erstanden und auch bezahlt. Wortlos gab er dem Mann seine Brieftasche. Wieder ließ sich der Mann unendlich viel Zeit. Leo sah nervös auf die Uhr. Wenn das hier so weiterging, verpasste er mit Sicherheit seinen Flug.
„Sie sind Polizist?“
„Ja.“ Leo stellte sich auf eine heftige Auseinandersetzung ein, in der er nicht gedachte, klein beizugeben. Der Typ würde seine Machtposition voll und ganz ausnutzen, das konnte er an dessen Augen sehen. Wie weit würde er gehen?
Aber dazu kam es nicht. Die Situation wurde unterbrochen, denn von draußen drang ein ohrenbetäubender Lärm in den kleinen Raum. Kurz darauf folgte ein weiterer, dumpfer Knall. Männer und Frauen schrien hysterisch durcheinander, was von sehr lauten Zwischenrufen, die sich wie Befehle anhörten, begleitet wurde.
„What the hell….“, rief der Engländer und öffnete die Tür. Fassungslos starrte er nach draußen. Frauen und Männer liefen panisch durcheinander, viele schrien hysterisch.
Dann fielen vereinzelt Schüsse.
Die Männer sahen sich an, beiden waren Schussgeräusche nicht unbekannt. Ein Uniformierter rief dem Mann etwas zu, worauf der sich umdrehte und Leo, der ebenfalls vor die Tür getreten war, wieder unsanft zurückdrängte. Der Engländer schloss die Tür und verriegelte sie zusätzlich. Dann versuchte er, zu telefonieren, was ihm nicht gelang.
„Was ist los?“
„Keine Ahnung. Soweit ich es verstanden habe, gab es einen Anschlag.“
„Und was machen wir dann hier? Sollten nicht wenigstens Sie Ihre Kollegen unterstützen?“
„Wie denn? Ich bin unbewaffnet.“
Erst jetzt bemerkte Leo, dass der Mann tatsächlich keine Waffe trug. Panisch versuchte der Engländer zu telefonieren. Wieder und wieder wählte er verschiedene Nummern.
„Damn! Das Netz scheint überlastet zu sein.“
„Soll ich es versuchen?“
„Ihr Deutschen meint auch, dass ihr alles besser könnt, stimmt’s? Wenn ich kein Netz habe, dann haben Sie auch keins“, maulte der Engländer.
Leo ließ sich nicht provozieren und wählte zunächst Sabines Nummer, auch wenn er wusste, dass sie das Handy nicht eingeschaltet hatte. Dann wählte er die Nummer seines Freundes und Kollegen Hans Hiebler im bayerischen Mühldorf am Inn. Auch hier erreichte er nur die Mailbox. Danach versuchte er es bei seinem Chef Rudolf Krohmer, auch hier nur die Mailbox. Dass die beiden ihre Handys ausgeschaltet hatten, konnte Leo nicht ahnen. Für ihn sah es so aus, als wäre das Netz tatsächlich überlastet.
„Ich sagte doch, dass Telefonate momentan nicht möglich sind!“
Leo steckte das Handy wieder ein.
Während der Engländer auf und ablief, blieb Leo ganz ruhig.
„Was ist los mit Ihnen? Es gab offenbar einen Anschlag und Sie sitzen hier, als würde Sie das nichts angehen“, warf ihm der Engländer vor. „Ihr Deutschen seid wirklich eiskalt.“
„Was bringt es, wenn ich ausflippe und mich aufrege? Haben Sie einen Plan, wie es weitergehen soll? Wir sollten hier nicht nur untätig herumsitzen und warten.“
„Was soll ich für einen Plan haben? Ich sitze hier unbewaffnet und ohne Telefonverbindung mit einem arroganten Deutschen fest. Was denken Sie, was ich tun kann? Ihr Deutschen wisst doch immer alles besser. Raus mit der Sprache: Was schlagen Sie vor?“
„Dass Sie die Deutschen nicht mögen, habe ich verstanden, aber das ändert nichts an der momentanen Lage. Ich habe auch keine Patentlösung, aber wir könnten…“ In diesem Moment klingelte Leos Handy. Beide Männer sahen sich überrascht an.
„Grüß dich, Leo!“ Die fröhliche Frauenstimme kannte er sehr gut.
„Christine?“ Die vierundsechzigjährige Christine Künstle war schon seit vielen Jahren Leos beste Freundin. Er hatte lange mit ihr während seiner Ulmer Zeit zusammengearbeitet und schätzte sie sehr. Nicht nur als Pathologin, sondern vor allem als Mensch. Der Kontakt riss auch nicht ab, als er nach Bayern strafversetzt wurde, was mit einer Herabsetzung des Dienstgrades einherging. Vor einem Jahr wurde Christine pensioniert, womit sie anfangs ganz schön zu kämpfen hatte. Sie langweilte sich. Dann rappelte sie sich auf und gab Seminare, die sehr gut angenommen wurden. Inzwischen hatte sie Gastprofessuren an zwei Universitäten, die ebenfalls sehr gut besucht waren. Trotzdem hatte sie immer noch zu viel Zeit, mit der sie nichts anzufangen wusste.
„Jetzt staunst du, gell? Da du mich schon seit Monaten sträflich vernachlässigst, habe ich mich mit Gerda verbündet. Wir wollen dich in München abholen. Wann landet dein Flieger?“ Der schwäbische Dialekt und die fröhliche Natürlichkeit der Freundin taten ihm gut. Trotzdem musste er ihr die Wahrheit sagen.
„Ich bin noch am Flughafen Heathrow. Es gab einen Anschlag. Hör zu, ich brauche deine Hilfe.“
Christine wurde aschfahl und setzte sich. Tante Gerda, die sechsundsiebzigjährige Vermieterin und Leos Ersatzmutter hatte die Veränderung bemerkt. Sie spürte sofort, dass etwas Schreckliches passiert sein musste. Sie setzte sich ihr gegenüber und versuchte, irgendetwas von dem Gespräch aufzuschnappen.
„Ich bin hier sicher, mach dir keine Sorgen. Bei mir ist ein englischer Polizist, ich bin also nicht allein. Allerdings sind wir beide unbewaffnet und können nichts tun. Wir brauchen Informationen, was hier passiert ist.“
„Warum ruft der Mann nicht einfach die Dienststelle oder sonstwo an?“
„Er hat kein Netz. Bitte ruf Hans und Krohmer an, die beiden wissen, was zu tun ist.“ Der Engländer reichte Leo einen Zettel zu, auf dem er seine Handynummer notiert hatte. „Notier dir die folgende Handynummer. Die gehört dem Engländer…“ Leo sah den Mann an, dessen Namen er nicht kannte.
„Kevin Sparks.“
„Kevin Sparks“, wiederholte Leo. „Ich werde mein Handy ausschalten, um den Akku zu schonen. Ich werde zu jeder vollen Stunde einschalten. Sparks‘ Handy schalten wir vorsorglich zu jeder halben Stunde ein. Sparks hat momentan kein Netz, was hoffentlich nur ein vorübergehendes Problem ist.“ Kevin nickte zustimmend. Der Deutsche war ruhig und dachte mit, das war sehr gut. Ob er an den Akku des Handys gedacht hätte?
Christine hatte die Handynummer mit zitternden Händen notiert.
„Pass auf dich auf, Leo. Du gehst kein Risiko ein, hast du mich verstanden?“
„Mach ich. Grüß alle von mir.“ Dann legte Leo auf. Er atmete tief durch, während er sein Handy ausschaltete. Hatte er etwas vergessen?
„Gut gemacht“, sagte Kevin Sparks lobend, der ebenfalls das Handy ausschaltete. Sie waren hier vorerst sicher. Aber wie lange noch? Das Warten zerrte an seinen Nerven. Vor allem die Ungewissheit, was eigentlich passiert war, war schier unerträglich. Wäre es nicht seine Pflicht als Polizist gewesen, sich aktiv einzubringen, anstatt sich hier in diesem kleinen Raum zu verschanzen? Für Anschläge gab es eine speziell ausgebildete Einheit, denen er nur im Weg stehen würde. War das so oder schob er diese Annahme nur vor, um sich selbst aus der Gefahrenzone zu bringen? Wenn er doch nur seine Waffe bei sich hätte!
Dass Leo ähnlich dachte, ahnte er nicht. Leo war keineswegs so ruhig, wie es den Anschein machte. Er war innerlich völlig aufgewühlt und versuchte angestrengt, etwas von dem Geschrei vor der Tür aufzunehmen.
„Sollten wir die Tür nicht öffnen und Leute aufnehmen?“
„Nein. Dafür gibt es spezielle Räume, die nach den Terroranschlägen im Juli 2005 eingerichtet wurden. Für den Flughafen Heathrow gibt es schon seit Jahren immer wieder Terrorwarnungen, wozu es zum Glück niemals Anschläge gab. Trotzdem sind Spezialeinheiten am Flughafen darauf eingerichtet, falls doch ein Terroranschlag stattfinden sollte. Es gibt die strikte Order, dass wir uns bei einem solchen Fall zurückhalten sollen und die Arbeit der Fachleute nicht behindern sollen. Aber warum erzähle ich Ihnen das eigentlich?“
„Keine Ahnung.“ Leo empfand diese Anweisung als absolut dämlich. Der Raum hier war zwar klein und es gab kein Fenster, trotzdem könnten hier gut und gerne sechs bis sieben Leute Unterschlupf finden. Aber er hatte hier nichts zu sagen und war nur ein ganz gewöhnlicher Tourist, wie es sie täglich tausendfach in London gab.
„Diese verdammten Araber!“, schimpfte Sparks.
„Woher wissen Sie so genau, dass die es waren?“
„Wer denn sonst? Auf der ganzen Welt, vor allem in Europa, gibt es immer wieder Anschläge von Fanatikern, bei denen es sich vorwiegend um Araber handelt. Ich könnte kotzen.“
„Trotzdem wissen wir noch nicht, was passiert ist. Bevor Sie gleich den Arabern oder sonst irgendwem die Schuld zuweisen, sollten wir lieber abwarten. Einer der Gründe, warum dieser Hass niemals aufhört, ist der, dass vorschnell geurteilt wird. Das kotzt mich an.“
„Ach ja? Vielleicht waren es nicht die Araber, sondern die Deutschen. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass die Deutschen in anderen Ländern Unruhe stiften.“
„Oh Mann! Jetzt kommen Sie mir nicht mit den zwei Weltkriegen! Die sind lange her. Ja, das war nicht gut, aber jedes Land hat irgendwo auf der Welt Blödsinn gemacht, die Engländer eingeschlossen.“
Es entstand eine Auseinandersetzung, die sich gewaschen hatte. Leo dachte nicht daran, auch nur einen Hauch nachzugeben. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären sich an die Gurgel gegangen.
Sabine Kofler hatte geduscht und sich fertiggemacht. Sie hatte ein schlechtes Gewissen Leo gegenüber, der sehr viel Verständnis für ihren Job aufbrachte. Sie hätte ihm längst sagen sollen, dass ein Jobangebot für London vorlag, das sie gedachte, anzunehmen. Der Termin heute betraf diesen Job, denn heute würden Einzelheiten besprochen werden. Außer einer guten Bezahlung waren die Bedingungen sehr verlockend. Wäre sie alleine, hätte sie längst unterschrieben, aber sie hatte ihren Verlobten Leo, an den sie denken musste. Ja, er zweifelte an seiner Arbeit und eigentlich hätte sie die Gelegenheit am Schopf packen und ihn in seinen Zweifeln bestärken sollen. Es wäre nur ein kleiner Schritt und sie könnte Leo dazu überreden, zu ihr nach London zu kommen. Aber das brachte sie nicht übers Herz und das wäre ihm gegenüber auch nicht fair, denn daran würde Leo zugrunde gehen. Er war kein Typ für ein Abenteuer in der Fremde, sondern ein bodenständiger Deutscher, der sich in einem fremden Land niemals einleben würde. Außerdem war Leo bei der Polizei genau am richtigen Platz.
Sie wischte ihr schlechtes Gewissen beiseite und tröstete sich mit Blick auf das nächste Treffen mit Leo, bei dem sie ihm das Jobangebot endlich beichten wollte.
Nur noch eine Stunde bis zu ihrem Termin, das reichte für ein kleines Frühstück. Der Fernseher lief. Als sie begriff, worum es ging, war sie fassungslos. Sie drehte den Ton lauter und hörte wieder und wieder die Informationen rund um die Geschehnisse am Flughafen London Heathrow. Das Wort Attack schockierte sie und sie begann zu zittern. War es möglich, dass Leo bereits abgeflogen war? Sie kontrollierte mehrfach die Uhrzeit. Nein, Leo musste noch am Flughafen sein, es konnte nicht anders sein. Er war inmitten des Geschehens und damit in größter Gefahr. Sie setzte sich, denn ihre Beine versagten ihren Dienst. Sie rückte näher an das Fernsehgerät und suchte auf den wackligen Bildern fieberhaft nach Leo. Das und die neuesten Nachrichten waren jetzt wichtig, der bevorstehende Termin war völlig egal.
Wo war Leo? Ging es ihm gut? Und was war in Heathrow eigentlich wirklich los?
2.
Die beiden Männer rannten so schnell wie möglich. Sie mussten zu ihrem Wagen und dann verschwinden, solange die Straßen noch nicht gesperrt waren. Keiner sagte auch nur ein Wort.
Sam Brown startete mit zitternden Händen den Wagen, dann gab er Gas. Sein Komplize Tom Albert hatte die Tür noch nicht ganz zugezogen, da zeigte der Tacho bereits 40 Meilen.
„Wenn du so weiterfährst, fallen wir auf! Da können wir uns ja auch gleich der Polizei stellen“, schrie Tom in Panik, während er ständig hektisch um sich blickte.
„Halt‘s Maul!“
Sam drückte das Gaspedal durch. Geschickt lenkte er den Wagen durch die Fahrzeuge, die alle zum Flughafen hin oder von diesem weg drängten. Dann ertönte der Alarm.
„Das ging verdammt schnell“, murmelte Sam. Er hatte mit einer Reaktion frühestens nach zehn Minuten gerechnet – bis jetzt waren noch keine sieben Minuten vergangen. Ihm und auch Tom war klar, dass ihre Gesichter auf sämtlichen Überwachungskameras zu sehen waren. Aber das war kein Problem, dafür hatten sie sich Bärte wachsen lassen und Perücken aufgesetzt. Die Kleidung landete im Kamin, sobald sie ihren Unterschlupf erreicht hatten. Außerdem gingen sie wie jeder normale Tourist durch die Menschenmengen. Warum hätte die Polizei auf sie aufmerksam werden sollen?
Sam hatte den rückwärtigen Verkehr ständig im Auge. Irgendwann beruhigte er sich, denn er war sicher, dass ihnen niemand folgte. Trotzdem blieb er wachsam. Nach zwanzig Minuten Fahrt verringerte er das Tempo und atmete tief durch. Tom suchte im Radio nach einer Meldung bezüglich des Flughafens, die nicht lange auf sich warten ließ.
„Diese Aasgeier sind wirklich überall“, maulte er und stellte den Ton lauter. Ein Reporter berichtete über die aktuelle Lage am Flughafen Heathrow, wobei diese Informationen sehr vage waren. Es gab nur jede Menge Spekulationen, mehr nicht. „Das übliche Blabla, die wissen nichts.“
„Können sie auch nicht. Bis die herausfinden, was passiert ist, ist der Coup längst durch.“
„Was weißt du eigentlich darüber?“
„Nicht so neugierig, Tom. Wir bekommen jede Menge Kohle quasi für nichts. Die beiden harmlosen Bomben, die jedes Kind basteln könnte, waren ein Kinderspiel für uns. Und sie zu zünden war auch ein Spaziergang. Wir hatten versprochen, keine Fragen zu stellen, und dabei sollte es auch bleiben. Oder möchtest du dich mit diesen Leuten anlegen?“
„Auf keinen Fall! Dieser John hat etwas Unheimliches an sich, das mir eine Gänsehaut bereitet. Und du kennst mich lange genug, Sam, so leicht lasse ich mich nicht einschüchtern. John ist nicht dumm, der hat bestimmt studiert. Die Worte, die er benutzt, sind sorgsam gewählt. Außerdem sind einige darunter, die ich noch nie gehört habe. Nein, John ist ein ganz Schlauer, das habe ich gleich gemerkt. Und ich glaube, dass er keinen Spaß versteht. Du hast Recht, wir sollten einfach das tun, was er angeordnet hat. Wir bleiben in unserem Versteck, bekommen in Kürze die Kohle und bleiben, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Viel Geld für wenig Arbeit, was wollen wir mehr?“
„Meine Rede.“
„Trotzdem würde ich gerne wissen, was hinter dem Ganzen steckt.“
Sam dachte ähnlich, sagte aber nichts mehr dazu. John, von dem er den Nachnamen nicht kannte, hatte ihn in einer Bar angesprochen und ihm diesen Job angeboten. Ihm war sofort klar, dass dieses Riesending eigentlich zu groß für ihn war, aber er konnte der Bezahlung nicht widerstehen. Wie immer war er blank und brauchte das Geld. Viel Geld für wenig Arbeit, wobei das Risiko überschaubar war. Auch wenn er den Sinn dahinter nicht verstand, konnte er den Job nicht ablehnen. Sein Cousin Tom war sofort dabei, als er ihn bat, ihn zu begleiten. Tom war zwar einfach gestrickt, aber auch er war stets pleite und für krumme Geschäfte immer zu haben.
Sam bog in die enge Einfahrt des kleinen, gepflegten Hauses im Londoner Stadtteil Croydon ein, das John angemietet hatte. Der Kühlschrank war voll, ebenso das Vorratsregal. In ihren Unterschlupf würde ihnen in wenigen Stunden die großzügige Bezahlung gebracht werden, wovon sie bereits einen ansehnlichen Anteil erhalten hatten. Danach brauchten sie einfach nur hierbleiben und abwarten, mehr nicht. Sam war nicht unglücklich über diese Regelung, denn seine Wohnung war ihm gekündigt worden und er saß quasi auf der Straße. Hier hatte er nicht nur ausreichend zu essen und zu trinken, einen Fernseher und fließend warmes Wasser, sondern vor allem ein Dach über dem Kopf.
Auch Tom war von dem Unterschlupf begeistert, der sehr viel schöner war, als seine heruntergekommene Bude. Es gab sogar einen riesigen Fernseher, von dem er schon immer geträumt hatte. Ja, hier ließ es sich die nächsten zwei Wochen aushalten, von ihm aus auch gerne länger.
John war sehr zufrieden. Er saß in einem Taxi am Flughafen Heathrow und sah zu, wie die beiden Trottel Sam und Tom wie vereinbart zu ihrem Wagen rannten, den sie genau dort geparkt hatten, wo er es von ihnen verlangt hatte. Die beiden waren für den Job perfekt. Ganz in Ruhe zündete er sich eine Zigarette an, woran sich der Taxifahrer nicht störte. Wie auch? Der saß tot hinter dem Steuer. John konnte keine Zeugen gebrauchen und um diesen unfreundlichen Zeitgenossen war es nicht schade. Es war reiner Zufall, dass es diesen Mann heute traf, es hätte jeden anderen auch treffen können.
John sah auf die Uhr, als der Alarm losging. Respekt! Nur sieben Minuten, damit hatte er nicht gerechnet. Trotzdem machte er sich keine Sorgen. Alles lief bisher nach Plan. Er konnte spüren, dass nun die immer wieder eingeübten Abläufe am Flughafen abgespult wurden, die für einen Anschlag exakt ausgearbeitet worden waren. Es war an der Zeit zu gehen. John drückte die Zigarette aus und steckte den Rest ein, er durfte nicht die kleinste Spur hinterlassen. Noch wollte er die Polizei über seine Identität im Ungewissen lassen. Erst, wenn es an der Zeit war, würde er sich zu erkennen geben.
John stieg aus und schlenderte zu seinem Wagen. In aller Seelenruhe lenkte er seinen Benz durch den dichten Verkehr. Im Rückspiegel beobachtete er lächelnd, dass hektisch eine Straßensperre errichtet wurde. Er konnte die Panik in den Augen der Polizisten sehen, was ihn aber nicht beunruhigte. Dass es aufgrund der geringen Sprengkraft keine Toten und vermutlich nicht einmal Verletzte gab, hatte er exakt berechnet, er war ja schließlich kein Unmensch, außerdem war er der Beste auf seinem Gebiet. Er wollte nicht all die Leute am Flughafen treffen. Er wollte nur Panik verbreiten und das schien zu funktionieren.
Er schaltete seine Lieblingsmusik ein. Der Blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass alles so ablief, wie es der Zeitplan für einen Anschlag vorsah. Auf die Polizei war eben Verlass. Er drehte die Musik lauter und lauschte der Musik seines Lieblingskomponisten Puccini. Die Planungsphase der letzten Monate hatte sich bezahlt gemacht, endlich konnte es losgehen. Nur noch wenige Tage und er lag mit einem Cocktail am Meer in der warmen Sonne. Good Bye England, Welcome Sonne, Strand, Meer und schöne Frauen.
Jetzt lächelte John nicht nur, sondern strahlte geradezu.
Phase eins war erledigt, jetzt war es Zeit für Phase zwei.
3.
Die beiden Streithähne hatten sich beruhigt.
„War es das T-Shirt?“, fragte Leo, dem der nun ständig auf- und abgehende Kevin Sparks mächtig auf die Nerven ging.
„Was?“
„Wurde ich wegen meines T-Shirts heute besonders gründlich kontrolliert?“, wiederholte Leo.
„Nein, obwohl ich das echt hässlich finde. Sie müssen froh sein, dass Sie deshalb von Royalisten nicht eine in die Schnauze bekommen haben. Unsere Queen ist uns Briten heilig, auch wenn wir sie nicht alle mögen und viele von uns die Monarchie abschaffen wollen.“
„Warum dann?“
„Routinekontrolle, seit gestern besteht eine erhöhte Terrorwarnung.“
„Und ich sehe aus wie ein Terrorist?“
„Zum einen ist es verdächtig, dass Sie außer Ihrem Handgepäck nichts bei sich haben, das allein ist schon ungewöhnlich. Zum anderen ist es Ihr Erscheinungsbild.“
„Was ist damit? Ich sehe völlig normal aus!“
„In Ihren Augen mag das so sein und das nehme ich Ihnen sogar ab.“ Für Kevin Sparks war das Gespräch beendet, aber für Leo noch lange nicht. Er stand auf.
„Was soll an mir nicht stimmen?“, fragte er nun gekränkt. Er war es leid, dass jeder Dahergelaufene an ihm und seinem Outfit herummäkelte.
„Sie sehen aus, als wären Sie in den achtziger Jahren hängengeblieben. Die Jeans hat einen unmöglich altmodischen Schnitt, die Lederjacke ist mindestens zehn Jahre alt und Ihre Cowboystiefel haben auch schon bessere Zeiten gesehen. Und wo, zum Henker, haben Sie eigentlich dieses potthässliche Bordcase gefunden? Auf dem Sperrmüll?“
Jetzt war Leo richtig sauer. Ja, das Bordcase war reine Geschmackssache. Es war aus hellblauem Kunstleder, auf dem sich alte Aufkleber befanden. Dieses Bordcase, das eigentlich keines war, war einwandfrei und gehörte früher seiner Mutter, die damit weit gereist war.
Noch bevor er etwas auf diese ungeheuerlichen Frechheiten erwidern konnte, klopfte es an der Tür. Nicht zaghaft, sondern heftig.
Leo machte Anstalten, die Tür zu öffnen, aber Sparks hielt ihn zurück.
„Es ist bei einem Terroranschlag untersagt, die Tür zu öffnen“, sagte er bestimmt.
„Das ist ja lächerlich! Erstens wissen wir noch nicht, was wirklich passiert ist, weil wir hier sinnlos in diesem kleinen Kämmerlein sitzen, und zweiten…“
„Und zweitens?“
„Ach, leck mich!“ Leo hatte die Türklinke schon in der Hand, da bekam er von Sparks einen heftigen Schubs, der ihn fast zu Fall gebracht hätte.
„Wer ist da?“, rief Sparks laut, aber er bekam keine Antwort. „Hallo? Wer ist da?“, wiederholte er.
Anstelle einer Antwort klopfte es erneut.
Nun wurde Leo hellhörig, denn die Reaktion war nicht normal. Diesmal gab er Sparks einen heftigen Schubs, wodurch dieser hart auf den Boden fiel. Noch bevor Sparks realisieren konnte, was gerade passierte, gab es einen Schuss, gefolgt von einem zweiten.
Die beiden Männer sahen sich erschrocken an. Sie saßen in der Falle.
4.
Hans Hiebler reagierte sofort, als er kapierte, was ihm Christine Künstle gerade berichtete. Als sie ihn nicht erreichte, war sie zu ihm gefahren und hatte ihn quasi überfallen. Er nahm seinen Geldbeutel und den Autoschlüssel.
„Krohmer weiß Bescheid?“
„Nein, wie denn? Auch er hat sein Handy ausgeschaltet….“
„Gut.“ Hans wählte die Nummer seines Chefs Rudolf Krohmer, erreichte ihn aber nicht. Dann wählte er die Nummer von Krohmers Frau. „Es ist dringend, Luise, ich brauche den Chef.“ Krohmer hörte gespannt zu, auch der reagierte erschrocken. Warum hatte er gerade heute entgegen seiner Gewohnheit die Nachrichten nicht verfolgt? Sofort schaltete er den Fernseher ein. Die Bilder schockierten ihn.
„Ich fliege nach London und versuche dort, ihm zu helfen“, sagte Hans fest entschlossen.
„Was wollen Sie dort ausrichtigen? Überstürzen Sie nichts, Hiebler. Sie werden keinen Flug bekommen, die Flughäfen sind sicher alle dicht.“
„Machen Sie sich darüber keine Sorgen, ich werde einen Flug bekommen. Versuchen Sie, sich ein Bild über die Lage in Heathrow zu verschaffen und informieren Sie Leo.“ Er gab Krohmer die Nummer des Engländers. „Leos Handy ist zu jeder vollen und die von Sparks zu jeder halben Stunde eingeschaltet. Drücken Sie uns die Daumen!“
„Mach ich! Melden Sie sich bei mir, sobald Sie einen Flug haben, verstanden?“
„Alles klar, Chef.“
Krohmer schaltete den Fernseher ein und notierte alle wichtigen Punkte. Er verstand den Kollegen Hiebler, er an seiner Stelle hätte auch so gehandelt.
Hans lief zum Wagen, während er versuchte, einen Flug nach London zu bekommen. Christine ignorierte er einfach. Die war stinksauer und konnte nur seinem Wagen hinterhersehen. Sie stieg in ihren und fuhr davon. Für sie war klar, was sie jetzt tun musste. Sie rief Tante Gerda an, die neben dem Telefon wartete.
„Dein unverschämter Neffe hat mich einfach stehen lassen. Kannst du mir einen Gefallen tun, Gerda? Kannst du versuchen, einen Flug nach London für mich zu buchen? Die Fluggesellschaft und der Preis sind völlig egal. Buche einfach den nächstbesten Flug nach London.“
„Ich werde es versuchen“, sagte Tante Gerda.
„Prima. Ich fahre direkt zum Flughafen, ich habe alles bei mir, was ich brauche. Bitte ruf mich an, wenn du einen Flug für mich buchen konntest.“
Tante Gerda war verzweifelt. Sie nahm ihren Laptop und rief die entsprechenden Seiten auf.
Hans ging es ähnlich wie seiner Tante, wobei seine Suche während der Fahrt sehr viel komplizierter war. Er musste die entsprechenden Nummern der Airlines, die ihm einfielen, mithilfe seines Handys herausfinden und gleichzeitig auf den Verkehr achten. Er rief eine Fluggesellschaft nach der anderen an, aber niemand konnte oder wollte ihm helfen. Es war nicht mehr weit bis zum Flughafen, die Zeit drängte. Obwohl es Sonntagabend war, rief er auch alle Reisebüros an, die er fand. Was sollte er sonst tun?
Hans war am Flughafen angekommen und stellte seinen Wagen ab. Rückblickend war er sehr froh darüber, dass die Fahrt reibungslos verlaufen war und nichts passiert war, auch wenn es ihm nicht gelang, einen Platz in einer Maschine nach London zu buchen. Sofort ging er von einem Schalter zum nächsten und hatte bei einer Airline endlich Glück. Es gab tatsächlich einen Platz in einer Maschine nach London-Stansted, die um einundzwanzig Uhr dreißig startete. Stansted war zwar von Heathrow weit entfernt, aber die Strecke konnte er mit einem Mietwagen bewältigen. Der Ticketpreis war horrend, um nicht zu sagen, völlig unverschämt. Da er kein Gepäck bei sich hatte, konnte er sich zumindest die völlig überhöhten Kosten dafür sparen. Dass es keine freie Bordverpflegung gab, interessierte ihn hingegen herzlich wenig. Die lustlose Dame am Schalter wurde auch nicht freundlicher, als er noch einen Mietwagen dazu buchte. Sie gab ihm wortlos die Kreditkarte zurück und sah ihn dabei noch nicht einmal an. Normalerweise würde sich Hans darüber ärgern, aber momentan war er nur froh, einen Flug bekommen zu haben. Nachdem er seinen Chef Krohmer informiert hatte, ging er durch die Sicherheitsschleuse, holte sich einen Kaffee und konnte durchatmen. Alles war geregelt. Es war jetzt gleich neunzehn Uhr. Was würde ihn in London erwarten?
Krohmer wartete und rief dann Leos Nummer an. Der hatte vor einer Minute sein Handy eingeschaltet und war erleichtert, Krohmers Stimme zu hören. Er kauerte mit Sparks in der sicheren Ecke, während auf die Tür geschossen wurde.
Krohmer gab einen groben Bericht darüber ab, was er aus den Nachrichten erfahren hatte. Und das war leider nicht viel.
„Der Reporter sagte, dass von außen keine Schäden am Gebäude festzustellen sind. Über Tote und Verletzte gibt es noch keine zuverlässigen Aussagen.“
„Danke, Chef.“
„Geht es Ihnen gut?“
„Momentan nicht. Auf unsere Tür wird geschossen. Ich schalte das Handy aus. Vielleicht hören wir uns später noch.“ Dann wurde die Verbindung unterbrochen.
Krohmer war geschockt über das, was er eben gehört hatte. Es wurde geschossen! Seine Frau hatte das Gespräch mit angehört.
„Mach dir keine Sorgen, mein Lieber. Leo kommt wieder wohlbehalten zurück, ganz sicher.“ Luise Krohmer machte sich zwar ebenfalls große Sorgen, trotzdem versuchte sie, immer alles positiv zu sehen.
„Wollen wir es hoffen.“ Krohmer setzte sich wieder vor den Fernseher, er musste für den nächsten Anruf unbedingt auf dem Laufenden bleiben.
Tante Gerda gab ihr Bestes. Sie rief geduldig eine Airline nach der anderen an und war so charmant wie möglich. Endlich hatte sie Glück. Sie konnte ein Ticket buchen und bezahlte per Sofortüberweisung. Nur zehn Minuten später bekam sie die Zahlungsbestätigung. Dann rief sie Christine an.
„Das Ticket ist für dich hinterlegt, es ist bereits bezahlt.“
„Ich habe zwar keine Ahnung, wie du das geschafft hast, aber ich bin mächtig stolz auf dich! Vielen Dank, meine Liebe. Du bekommst das Geld selbstverständlich zurück.“
„Willst du mich beleidigen? Geld spielt doch jetzt überhaupt keine Rolle! Das ist mein bescheidener Anteil in der Sache, mehr kann ich leider nicht tun. Pass auf dich und meinen Hans auf. Ihr beide bringt mir Leo gesund zurück, hörst du?“
„Wir tun unser Bestes. Ich melde mich wieder. Drück die Daumen, Gerda!“
Christine trat das Gaspedal durch, auf Geschwindigkeitsbegrenzungen und Überholverbote konnte sie keine Rücksicht nehmen. Ob Leo noch am Leben war? Sie stellte sich die schlimmsten Szenarien vor, bis sie sich dazu zwang, positiv zu denken. Leo war nicht tot und auch nicht in Lebensgefahr! Das durfte einfach nicht sein!
5.
„Läuft alles nach Plan?“, wollte John wissen. Er sah auf die Uhr, die zweite Phase hätte vor zwanzig Minuten beginnen müssen und wäre in Kürze beendet.
„Selbstverständlich. Peter und ich haben wie vereinbart einzelne Schüsse abgegeben, nachdem die Bomben hochgegangen sind. Hier herrscht eine Panik, die dir gefallen würde.“
„Hoffentlich habt ihr nicht übertrieben“, sagte John, der seinen Bruder sehr gut kannte. Carter übertrieb gerne und handelte auf eigene Faust, was er ihm diesmal strikt verboten hatte. Eigentlich wollte er seinen Bruder nicht dabei haben und wählte lieber einen zuverlässigen Mann, dieser aber wurde vorgestern leider verhaftet. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als auf seinen Bruder zurückzugreifen. „Habt ihr an die Masken gedacht?“
„Klar. Denkst du, wir sind doof?“
„Ich muss mich auf dich verlassen können, Carter. Du weißt, was du zu tun hast?“
„Selbstverständlich! Du denkst wirklich, dass ich dumm bin, oder?“
„Wenn das so wäre, hätte ich dich nicht mit an Bord genommen. Ich vertraue dir, kleiner Bruder. In fünf Minuten haut ihr ab und fahrt direkt nach Croydon. Der Wagen steht für dich bereit. Wenn alles erledigt ist, meldest du dich bei mir. Du hältst dich exakt an den Zeitplan und bleibst keine Minute länger. Hast du verstanden?“
„Klar.“ Carter war sauer auf seinen Bruder, der in ihm immer noch den kleinen, dummen Jungen sah, der er mit seinen zweiunddreißig Jahren längst nicht mehr war. Ob sich das irgendwann mal ändern würde? Wie oft musste er sich noch beweisen, um endlich vor ihm bestehen zu können? Als er von John vor zwei Tagen auf diesen Job angesprochen wurde, hatte er spontan zugesagt, obwohl er bis jetzt immer noch nicht wusste, worum es eigentlich wirklich ging. John wollte in Heathrow Unruhe stiften, das war klar. Aber warum, wollte er ihm nicht verraten und das ärgerte ihn. Diesen Job musste er auf jeden Fall ganz nach Johns Anweisungen hinter sich bringen. Vielleicht konnte er ihn dann endlich davon überzeugen, dass er sich auf ihn verlassen konnte.
Carter sah sich nach Peter um, der sich eigentlich immer in seiner Nähe aufhalten sollte. Wo war der Trottel? Wütend machte er sich auf die Suche nach ihm. Nur noch drei Minuten und ihr Auftrag war am Flughafen zu Ende. Je mehr Zeit verging, desto wütender wurde er. Von Peter war weit und breit nichts zu sehen. Die fünf Minuten waren längst um. Carter wurde nervös. Dann hörte er Schüsse. Was sollte das? Carter rannte auf die Schussgeräusche zu. Als er Peter sah, wie er auf eine verschlossene Tür schoss, hätte er kotzen können.
John war kurz vor seinem Ziel angekommen. Der Parkplatz des Tower of London war nicht ganz so voll wie sonst. Es war spät und in einer halben Stunde wurden die Tore der Touristenattraktion geschlossen. Trotzdem tummelten sich immer noch jede Menge Menschen auf dem Vorplatz. John kaufte ein Ticket, wobei er sich von der gelangweilten Frau belehren lassen musste, dass sich ein Besuch jetzt eigentlich nicht mehr lohnen würde. Normalerweise würde er sich einen Spaß daraus machen, die Frau zur Weißglut zu bringen, aber dafür war jetzt keine Zeit, jede Minute zählte. John bedankte sich und ging auf sein Ziel zu.
Es war Zeit für Phase drei.
6.
„Was machst du hier?“, rief Hans Hiebler viel zu laut, als er fassungslos zusehen musste, wie sich Christine Künstle im Flugzeug direkt neben ihn setzte und ihre riesige Handtasche wie selbstverständlich unter seine Füße schob, da bei ihr kein Platz dafür war. Die Tasche war nicht das Problem, es ging um Christine selbst, die er nicht brauchen konnte.
„Was ich hier mache? Ich fliege nach London. Was dagegen?“
„Ich weiß, was du vorhast! Nein, du kommst nicht mit, das kannst du vergessen! Du steigst sofort wieder aus!“ Hans war außer sich. Es war ihm klar, dass sich Christine große Sorgen um Leo machte, aber das ging dann doch zu weit!
„Was erlaubst du dir? Mir hat niemand vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe, auch Du nicht!“
„Ich verstehe, dass du dich sorgst, aber du hast in London nichts verloren! Ich habe keine Ahnung, was mich dort erwartet und habe keine Lust, auch noch auf dich aufpassen zu müssen. Einen Klotz am Bein kann ich nicht brauchen. Bitte sei vernünftig und steig wieder aus!“ Hans flehte Christine geradezu an.
„Ich bin also ein Klotz am Bein? Du musst nicht auf mich aufpassen, dass schaffe ich sehr gut alleine! Und jetzt halt den Mund, bevor ich mich vergesse!“ Christine war stinksauer.
„Gibt es Probleme?“, fragte die genervte Flugbegleiterin, die nicht scharf darauf war, nach London fliegen zu müssen. Der Anschlag auf Heathrow hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet und dabei wurden die wildesten Gerüchte gestreut. Man munkelte, dass Heathrow nicht der einzige Flughafen für einen Anschlag bleiben würde und Stansted, das Ziel dieses Fluges, wurde bereits namentlich genannt.
„Die Dame möchte gerne aussteigen“, sagte Hans, nachdem Christine nicht reagierte.
„Nein, möchte ich nicht. Ich habe ein gültiges Ticket und fliege nach London. Sagen Sie dem Herrn, dass er mich nicht weiter belästigen soll.“
Die Flugbegleiterin war völlig überfordert. Was sollte sie tun? Sie ging zu ihrem Vorgesetzten und schilderte den Fall, während Hans weiter versuchte, Christine zum Gehen zu bewegen. Er brachte überzeugende Argumente vor, die alle an ihr abprallten. Christine sagte kein Wort mehr und blickte nur stur geradeaus. Nichts und niemand würde sie von diesem Flug abhalten können.
„Was sollen wir tun?“, fragte die Flugbegleiterin verzweifelt. „Du siehst ja selbst, dass der Mann möchte, dass die Frau aussteigt.“
„Beide haben gültige Tickets. Wenn sie ein persönliches Problem miteinander haben, sollen sie das unter sich klären.“
„Wäre es nicht besser, wenn wir die beiden auseinandersetzen?“
„Wenn du jemanden findest, der freiwillig seinen Platz räumt, bezweifle ich, dass die Frau darauf eingeht. Sieh doch nur, wie sie dasitzt. Nein, die gibt ihren Platz nicht auf, die Sorte Frau kenne ich. Spar dir die Mühe, das ist es nicht wert.“
„Und wenn die beiden Probleme machen?“
„Dann können wir immer noch reagieren. Lass uns diesen Flug so schnell wie möglich hinter uns bringen. Ich bin froh, wenn ich wieder heil aus England raus bin. Du kennst die Gerüchte um vermeintliche Anschläge?“
„Leider ja.“ Die Flugbegleiterin stimmte ihrem Vorgesetzten zu. Da es an Bord nur eine kleine Auswahl an Verpflegung gab, hatte sie eigentlich einen ruhigen Flug vor sich. Sie hoffte darauf, dass die beiden Passagiere in Reihe 17 keine Probleme machten, denn darauf konnte sie gerne verzichten.
Christine kochte innerlich. Was fiel Hans eigentlich ein? Nur, weil sie ein paar Jahre älter war, musste sie sich nicht so dumm von ihm anreden und bevormunden lassen. Hatte er nicht auch Recht mit seinen Argumenten? Mag sein. Leo war in Gefahr und sie würde es sich um nichts in der Welt nehmen lassen, zumindest zu versuchen, ihm zu helfen. Wie sie das anstellen wollte, wusste sie noch nicht, ihr würde zur gegebenen Zeit noch das Richtige einfallen. Die erste Hürde war, nach London zu gelangen und dabei war sie gerade.
Hans war zwar wütend, aber langsam beruhigte er sich wieder. Je mehr er über Christine und das, was er ihr an den Kopf geworfen hatte, nachdachte, desto mehr schämte er sich. Christine kannte Leo schon sehr viel länger und reagierte so, wie er schließlich auch reagiert hatte. Er versuchte eine kleine Wiedergutmachung, indem er ihr ein völlig überteuertes Getränk kaufte, als die Flugbegleiterin sich näherte. Er konnte an dem Gesicht der jungen Frau ablesen, dass sie Angst hatte. Auch er hatte die Gerüchte um Stansted gehört, glaubte aber nicht daran.
Christine verschränkte die Arme, als Hans ihr das Getränk reichte. Er klappte ihr kleines Tischchen nach unten und stellte den Becher darauf. Dann lächelte er sie an.
„Nun komm schon, sei nicht mehr sauer. Du weißt ganz genau, dass ich es nur gut gemeint habe“, sagte Hans versöhnlich, nahm ihre Hand und drückte einen dicken Kuss darauf.
Christine fühlte sich geschmeichelt und konnte dem treuherzigen Blick kaum widerstehen, aber trotzdem blieb sie stur. Sie hatte großen Durst, aber sie rührte das Getränk nicht an. So leicht wollte sie es Hans nicht machen. Er hatte sie beleidigt und das ließ sie niemandem ungestraft durchgehen.
Hans bot seinen ganzen Charme auf und bettelte weiter, bis sie sich schließlich erweichen ließ. Es begann eine oberflächliche Unterhaltung, die vor allem die Flugbegleiterin erleichtert registrierte.
„Wie willst du in London vorgehen?“, wollte Christine wissen.
„Ich dachte, ich fange beim Scotland Yard an, die für diesen Fall vermutlich zuständig sind.“
„Denkst du, die lassen uns einfach mitmischen?“
„Wir werden sehen. Sagtest du eben uns? Du denkst doch nicht im Ernst daran, dass du mich wirklich begleiten wirst? Nein, meine Liebe, das kannst du vergessen. Offensichtlich kann ich dich nicht davon abhalten, nach London zu fliegen. Aber dort wirst du zusehen müssen, wie du zurechtkommst. Ich kann dich nicht brauchen, das habe ich dir doch vorhin klar und deutlich gesagt.“ Hans sprach viel zu laut. Einige der Mitreisenden wurden erneut hellhörig.
„Wenn du mich nicht dabeihaben willst, mache ich das alleine. Ich stehe nicht tatenlos herum, während Leo in Lebensgefahr schwebt.“
Hans ließ das unkommentiert. Sobald das Flugzeug landete, musste er Christine irgendwie loswerden. Wie er das anstellen wollte, wusste er noch nicht. Momentan waren ihm die Hände gebunden. Wenn Christine auf sich allein gestellt war, würde sie sicher wieder so schnell wie möglich nach Hause fliegen und das wäre auch das Beste für sie. Um Christine machte er sich keine Sorgen mehr, das Thema würde erledigt sein, sobald er sie abgeschüttelt hatte. Er hatte noch über eine halbe Stunde. Also lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Es wäre schön, wenn er etwas schlafen könnte, aber das war ihm nicht vergönnt. Die schlimmsten Szenen liefen vor ihm ab. Noch hatte er keine Ahnung, was wirklich in Heathrow passiert war und wie es Leo ging.
Ob er noch lebte? Ganz sicher, denn eine andere Möglichkeit zog er nicht in Betracht!
7.
Carter sah auf die Uhr. Die von seinem Bruder vorgegebenen fünf Minuten waren schon lange vorbei. Er durfte nicht mehr hier sein, genau so wie Peter, der immer wieder einen Schuss auf eine offenbar verschlossene Tür abgab. Was machte der Trottel denn da?
Die Tür wies bereits mehrere Löcher auf.
„Was soll das?“, schrie Carter wütend und drückte Peters Waffe nach unten. „Wir müssten längst weg sein! Das hat ein Nachspiel, darauf kannst du dich verlassen!“
Erst jetzt sah Peter auf die Uhr. Er hatte sich durch die verschlossene Tür, hinter der er wichtige Personen vermutete, ablenken lassen. Er hatte bereits mehrere Überfälle und einige Entführungen durchgeführt, die fast alle perfekt gelaufen waren. Hinter dieser Tür musste jemand sein, bei dem es ein fettes Lösegeld gab, das konnte er förmlich riechen.
„Ich brauche nicht mehr lange, dann ist die Tür auf!“
„Lass das! Was soll der Scheiß?“
„Diese Tür ist keine normale Tür, sonst wäre sie längst offen. Ich vermute, dass sich dahinter ein fetter Fisch verschanzt hat. Was glaubst du, wie viel Lösegeld wir kassieren könnten – denk doch mal nach!“
„Wir sind nicht wegen einer Entführung hier, hast du verstanden? Wir haben für unseren Job ganz klare Anweisungen bekommen – und das hier gehört nicht dazu. Wenn John davon Wind bekommt, wirst du deinen Alleingang bereuen, das kannst du mir glauben. Los jetzt!“
Carter rannte los und Peter folgte ihm. Niemand stellte sich den beiden in den Weg, weshalb sie auf dem schnellsten Weg das Flughafengebäude verlassen konnten. Erst jetzt bemerkte Carter, dass Peter keine Maske trug.
„Was ist mit deiner Maske?“
„Kümmere dich um deinen eigenen Mist. Steig ein!“
Endlich saßen sie im Wagen. Carter sah auf die Uhr und erschrak.
„Wir sind fast eine Stunde zu spät! Dafür könnte ich dich umbringen, du verdammtes Arschloch! Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Carter startete den Wagen und fuhr so ruhig wie möglich los.
„Jetzt bleib mal locker, Carter, es ist doch nichts passiert!“
„Nichts passiert? Wir sind nicht im Zeitplan und werden sehr wahrscheinlich mitten in einer Straßensperre landen. Außerdem hast du deine Maske entgegen der Anweisung abgezogen. Dein Gesicht ist jetzt auf vielen Überwachungskameras deutlich zu sehen. Was bist du nur für ein Loser?“
„Jetzt mach mal halblang! Wie redest du eigentlich mit mir?“
„Johns Anweisungen waren…“
„Das ist mir scheißegal! Du spielst dich hier auf und im Grunde genommen bin ich derjenige, der sauer sein könnte. Du hast mir vorhin die Tour vermasselt, ich war so knapp am Ziel.“
„Gar nichts warst du! Du hast auf eine verschlossene Tür geballert, hinter der vermutlich niemand war. Du bist ein Loser, John, und wirst auch immer einer sein. Ich hätte dich nicht mit an Bord nehmen sollen. Ich hätte wissen müssen, dass du für den Job nicht geeignet bist.“
Carter war stinksauer. Er hatte genug und wollte nur noch weg.
„Weißt du was? John und du, ihr beide könnt mich mal!“
Carter hatte das Ende des Parkplatzes erreicht. John hatte angewiesen, die Waffen mitsamt den Masken hier zu entsorgen. Dieser kleine Bereich wurde nicht von den Kameras erfasst. Carter stieg aus und machte das, was sein Bruder von ihm verlangte. Peter dachte überhaupt nicht daran, ihm das gleichzutun. Er ging einfach mitsamt seiner Waffe davon, die Maske warf er einfach weit von sich.
„Was hast du vor? Bleib gefälligst hier!“
Statt einer Antwort zeigte ihm Peter den Mittelfinger, dabei drehte er sich nicht einmal um. Er ging einfach weiter.
„Bleib stehen, sofort!“ Carter war außer sich. Peter vermasselte alles. Wie sollte er John erklären, was hier gerade passierte? Carter war nervös und wusste nicht, was er machen sollte. Was würde John an seiner Stelle tun? Carter griff nach seinem Gewehr und legte an. Dann drückte er ab. Peter fiel um wie ein Stein. Carter warf die Waffe mitsamt der Maske weg. Er nahm die Folien aus dem Kofferraum und klebte die Firmenschilder aufs Auto. Dabei zitterte er und musste sich darauf konzentrieren, dass die Aufkleber einigermaßen gerade angebracht wurden. Dann zog er den Arbeitskittel über, nahm die Werkzeugtasche aus dem Kofferraum und stellte sie auf dem Rücksitz ab. Alles so, wie John es angewiesen hatte. Dann stieg er ein, zog die Handschuhe aus, legte sie auf den Beifahrersitz und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“, schrie er laut. Warum war Peter einfach weggelaufen? Wäre er zurückgekommen und einfach wie geplant in den Wagen gestiegen, hätte er ihn nicht erschießen müssen. Peter war selbst schuld daran! Wieder sah er auf die Uhr, er war viel zu spät dran. Wie sollte er John das erklären?
Er kurbelte das Fenster der alten Karre runter und warf die Handschuhe während der Fahrt einfach raus. Alles wäre ein guter Plan gewesen, wenn Peter nicht so ein verdammtes Arschloch gewesen wäre.
Leo Schwartz und Kevin Sparks hatten sich in die einzig sichere Ecke gekauert. Bei jedem Schuss zuckten sie zusammen.
„Die Tür hält einiges aus. Die wurden nach 2005 alle erneuert“, erklärte Sparks, was Leo keineswegs beruhigte.
„Aber auch die Tür gibt irgendwann nach“, sagte er so leise wie möglich. „Die ersten Geschosse gehen bereits durch.“
Beide hatten bereits mit ihrem Leben abgeschlossen. Weder Leo, noch Sparks, glaubten daran, hier lebend rauszukommen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Tür nachgab.
Dann war es plötzlich still. Leo war nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte, was vor der Tür gesprochen wurde.
„Es hat sich so angehört, als hätte der Schütze einen Rüffel kassiert. Mit viel Glück haben wir es geschafft.“
Sparks hatte nicht darauf geachtet. Er hatte sich dazu gezwungen, sich nicht auf die Schüsse zu konzentrieren, sondern an all die lieben Menschen zu denken, die er nun nicht mehr sehen durfte. Langsam verstand er Leos Worte. Konnte das sein? War es so, dass er weiterleben durfte? Erst jetzt bemerkte er, dass er sich an so sehr an Leos T-Shirt festgeklammert hatte, dass er einen Krampf hatte. Dafür schämte er sich jetzt, was Leo bemerkte.
„Denken Sie sich nichts. Ich habe nicht nur mit meinem Leben abgeschlossen, sondern mir vor Angst fast in die Hosen gemacht.“
Jetzt lachten beide, was sehr befreiend war.
„Was nun?“, fragte Sparks.
„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne hier bleiben. Für irgendeine Aktion fehlt mir momentan der Mut. Ich möchte einfach nur hier sitzen und mich darüber freuen, dass ich vorerst dem Tod von der Schippe gesprungen bin.“
„Ich bin dabei“, sagte Sparks erleichtert.
Leo schaltete sein Handy ein: Drei verpasste Anrufe. Verdammt, er hätte früher einschalten sollen! Er versuchte, die Nummer zurückzurufen, erreichte aber wieder nur die Mailbox. Das war Christines Handy. Zu schade, dass er sie verpasst hatte. Dass sie gerade im Flugzeug saß und auf dem Weg zu ihm war, hätte er sich nicht in den kühnsten Träumen vorstellen können. Er versuchte es nochmals bei Hans, aber auch ihn erreichte er nicht. Es blieb noch Krohmer, der sich bereits nach dem ersten Klingeln meldete.
„Geht es Ihnen gut?“
„Alles in Ordnung, Chef. Die Ballerei hat aufgehört. Ich denke, wir sind vorerst in Sicherheit. Gibt es Neuigkeiten?“
„Nein. Die Informationen wiederholen sich. Sobald ich etwas höre, melde ich mich.“
„Gut. Dann lege ich jetzt auf.“
„Passen Sie auf sich auf, Schwartz. Ich möchte Sie in einem Stück wieder hier haben.“
„Jetzt sind Sie dran, schalten Sie Ihr Handy ein“, sagte Leo zu Sparks, während er sein eigenes Handy ausschaltete. „Vielleicht haben Sie jetzt wieder ein Netz.“
„Mobilephone heißt das bei uns in England“, korrigierte Sparks.
„Von mir aus auch das.“
Sparks wählte einige Telefonnummern, hatte aber immer noch keinen Erfolg. Trotzdem ließ er es eingeschaltet.
Die beide saßen stumm nebeneinander. Das laute Klingeln von Sparks Handy durchriss die Stille. Er erkannte die Nummer seines Vorgesetzten Gordon Bell. Noch niemals vorher hatte er sich so sehr über dessen Stimme gefreut. Sparks wollte sich erklären und stellte viele Fragen, aber dafür hatte Bell keine Zeit. Am Flughafen ging alles drunter und drüber und er versuchte, irgendwie Ordnung reinzubringen.
„Wir gehen davon aus, dass der Anschlag vorüber ist. Verstärkung ist vor Ort. Bleiben Sie, wo Sie sind. Wir werden Sie rausholen, dann können wir alles in Ruhe besprechen.“
Den beiden war die Erleichterung anzusehen. Es folgte eine lockere Unterhaltung.
„Weshalb sprechen Sie eigentlich so gut deutsch?“
„Als meine Mutter starb, hat mich mein Vater in ein Internat an den Bodensee verfrachtet.“
„Nach Salem?“ Leo hatte davon gehört. War das nicht eine Einrichtung für Sprösslinge gut betuchter Eltern? Er konnte sich aber auch täuschen.
„Ja, ich war in Salem.“ Sparks hatte keine Lust, sich näher zu erklären, denn an die Internatszeit hatte er nicht nur gute Erinnerungen.
„Wie alt waren Sie, als Sie nach Salem kamen?“
„Damals war ich acht. Sechs Jahre können Sie selbst dazuzählen.“
„Und warum mögen Sie die Deutschen nicht?“
„Das hat viele Gründe und würde zu weit führen. Ich halte die Deutschen für großspurig und überheblich. Sobald mir mehr dazu einfällt, lasse ich es Sie wissen. Jetzt möchte ich nur hier sitzen und mich darüber freuen, dass ich nochmals davongekommen bin. Es klingt vielleicht dämlich, aber ich hatte bereits mit dem Leben abgeschlossen.“
„Ich auch.“
Es trat eine Stille ein, die beiden guttat. Zur nächsten vollen Stunde war es zwar noch hin, trotzdem schaltete Leo sein Handy ein. Warum nicht? Nicht mehr lange, und er konnte es wieder problemlos aufladen.
Das Klingeln durchbrach die Stille.
„Hallo Chef“, meldete er sich und Krohmer war erleichtert, Leos fröhliche Stimme zu hören. „Wir bekamen eben die Nachricht, dass vorerst Ruhe eingekehrt ist. Sparks Vorgesetzter sprach sogar davon, dass der Anschlag vorüber sei.“
„Gott sei Dank! Es wurde mehrfach bestätigt, dass es tatsächlich keine Beschädigungen am Flughafengebäude gab. Zahlen über Opfer gibt es immer noch keine.“
„Danke, Chef.“
„Gerne. Nur zur Information: Ihr Kollege Hiebler ist auf dem Weg zu Ihnen.“
„Hans kommt hierher?“
„Ja. Vorausgesetzt, er kann sich bis Heathrow durchschlagen, denn er landet in Stansted. Passen Sie auf sich auf. Herzliche Grüße von meiner Frau!“
Peter rappelte sich auf. Die schmerzende Wunde am Oberarm blutete stark. Dieser Hurensohn Carter hatte doch tatsächlich auf ihn geschossen! Vorsichtig blickte er sich um, aber von Carter und dessen Wagen war weit und breit nichts zu sehen. Er zog das Hemd aus, riss es in diverse Streifen und verband damit notdürftig die Wunde. Die Waffe verstaute er sicher hinter einem Busch. Dann machte er sich auf die Suche nach Carters Waffe, die da hinten irgendwo liegen musste. Endlich fand er sie und legte sie zu seiner Waffe. Carter und seinen verfluchten Bruder konnte er vergessen, von denen würde er keinen Penny sehen. Das war auch nicht wichtig, denn er sah eine größere Chance in einer Entführung, die ihm weit mehr lag, als dieses sinnlose Herumgeballere. Er war sich sicher, dass sich hinter dieser Tür mindestens eine Person verschanzt hatte, für die er ein fettes Lösegeld verlangen konnte. Er musste unbedingt herausfinden, ob er wirklich richtig lag und vor allem, um wen es sich handelte. Erst dann konnte er abschätzen, wie viel er verlangen konnte. Ja, das war sein Ding und darum musste er sich kümmern. Peter spazierte einfach auf den Flughafen zu und betrat das Gebäude. Er war verwundet und hatte eine Schussverletzung vorzuweisen, die ihm jetzt Vorteile brachte. Warum er sich draußen auf dem Parkplatz aufhielt, konnte er mit einer Schocksituation erklären, das war kein Problem. Sein Ziel war diese Tür, auf die er vor Kurzem noch geschossen hatte. Ob noch jemand in dem Raum war?
Die Tür war noch genau so, wie er sie verlassen hatte. Er setzte sich in deren Nähe und gab den Verletzten. Endlich kamen Bewaffnete, von denen sich einer sofort um ihn kümmerte. Dann ging die Tür auf. Gebannt starrte Peter die beiden Männer an, die ihm völlig unbekannt waren. Einer von ihnen sah durchschnittlich aus, der andere schien modisch völlig ins Klo gegriffen zu haben. Das sagte nichts. Reiche, berühmte und einflussreiche Personen fielen heute nicht mehr durch ihr äußeres Erscheinungsbild auf. Beide Männer waren etwa gleich alt, der eine um die fünfzig, der andere ein paar Jahre jünger. Der seltsam Gekleidete war ziemlich groß, während der andere ungefähr seine Größe von einsfünfundziebzig haben dürfte. Peter versuchte, sich jedes Detail einzuprägen. Der Kleinere der beiden sprach mit einem Polizisten. Täuschte er sich, oder kannten sich die beiden? Er war sich nicht sicher. Peter hatte Feuer gefangen und wähnte sich auf der richtigen Spur: Für einen dieser beiden konnte er ganz sicher ein fettes Lösegeld verlangen. Er musste dringend an ihnen dranbleiben.
Die Maschinerie der britischen Polizei lief auf Hochtouren. Ein großer Teil der verfügbaren Kräfte wurden nach Heathrow beordert, viele andere wurden für den Verkehr benötigt, der völlig zusammengebrochen war. Außerdem riefen tausende besorgter Bürger an, die dadurch die Leitungen teilweise lahmlegten und einen großen Personalaufwand verursachten. Dazu kam die Presse, die versorgt werden wollte. Kurzum: Es herrschte Chaos.
Zum Glück behielt der zuständige Scotland Yard Commissioner Norman Curtis Green nicht nur die Nerven, sondern auch einigermaßen den Überblick. Als die Premierministerin ihn völlig aufgebracht anrief und ihn bat, die Leitung des Falls des bis dahin noch nicht bestätigten Terroranschlages zu übernehmen, wusste Green bereits Bescheid. Seine Informationsquellen waren weit gestreut, was ihm in seiner Karriere schon sehr viele Vorteile beschert hatte. Die Koordinierung der Polizeikräfte war sehr schwierig. Er musste Kräfte von Stellen abziehen, die jetzt absolut unterbesetzt, teilweise sogar unbesetzt waren. Das bereitete ihm Kopfschmerzen, aber er musste Prioritäten setzen. Zum Glück war das Königshaus durch die Hochzeitsvorbereitungen des jungen Prinzen Harry nicht in London. Das war gut so, denn er konnte für die Sicherheit der Familie Windsor nicht einen Mann entbehren, er hatte so schon nicht genug.
Green hatte seine beiden besten Leute nach Heathrow geschickt: Chief Superintendent Robert „Bobby“ Lancaster und Chief Inspector Sarah Parker-Green, die nicht zufällig denselben Namen trug wie er. Sarah war Greens Tochter und verdammt gut in ihrem Job. Er hätte es viel lieber gesehen, wenn sie irgendwo einen gutbezahlten und sicheren Bürojob gemacht hätte, aber sie war von einer Polizeikarriere nicht abzubringen gewesen, was ihm auch irgendwie schmeichelte. Bobby und Sarah waren bereits in Heathrow. Nicht mehr lange und er bekam einen aktuellen Bericht darüber, was dort wirklich passiert ist, denn bisher gab es nur Spekulationen. Die Premierministerin war bereits auf dem Weg zu ihm, in Begleitung des stellvertretenden Verteidigungsministers Paul Stanton.
Die Lage in Heathrow hatte sich noch nicht entspannt. Noch war hier die Hölle los. Gordon Bell war der Verantwortliche und er hatte alle Hände voll zu tun. Bell hatte nur wenige Minuten nach den Explosionen reagiert und alles Erforderliche in die Wege geleitet. Die Schüsse hatte er mitbekommen, aber er wusste diese nicht zu verhindern. Bis er die erforderlichen Kräfte zusammenzog, war alles schon vorbei. Noch lief alles schleppend, aber er war trotzdem zufrieden. Die vielen Übungen und Schulungen seiner Leute hatten sich bezahlt gemacht. Wie ein Uhrwerk griff ein Rädchen ins andere. Außenstehende würden behaupten, dass hier das reinste Chaos herrschte, aber Bell hatte den Überblick und war deshalb weit entfernt davon, das als Chaos zu bezeichnen. Als Bobby Lancaster und Sarah Parker-Green in sein Büro traten, konnte er ausführlich berichten.
„Die erste Explosion war hier mitten in Terminal 3, die Bombe befand sich in einem Mülleimer. Die zweite fand hier auf der Herrentoilette in Terminal 5 statt. Danach gab es hier, hier und hier vereinzelte Schüsse. Besonders auf diese Tür, die sich direkt nach der Sicherheitskontrolle in Terminal 5 befindet, wurde mehrfach geschossen, sie hielt der Attacke stand.“
„Die wichtigste Frage vorab: Gab es durch den Anschlag Tote oder Verletzte?“
„Zum Glück gab es keine Toten. Die Explosionen waren sehr gering. Die haben zwar einen Höllenlärm verursacht, hatten aber keine große Sprengkraft. Wir haben vier Verletzte, die allerdings nicht unmittelbar auf den Terrorakt zurückzuführen sind. Bis auf eine verletzte Person, die einen Streifschuss abbekommen hat, das war hier ebenfalls in Terminal 5. Der Verletzte wurde in unmittelbarer Nähe der besagten Tür gefunden.“
„Das kann ich kaum glauben! Durch die Schüsse wurde nur eine einzige Person verletzt?“
„Es sieht so aus, als hätten die beiden Männer die meisten Schüsse in die Luft abgegeben, die Einschusslöcher sind eindeutig. Nur der Verletzte mit dem Streifschuss und diese eine Tür bei der Sicherheitskontrolle sind auffällig.“
„Warum wurde auf diese Tür geschossen?“
„Das wissen wir nicht. Einer meiner Mitarbeiter, Kevin Sparks, war dort mit einem Deutschen.“
„Zu einer intensiveren Kontrolle, nehme ich an?“, fragte Sarah.
„Richtig.“
„Wo finden wir die beiden?“
„In Sparks Büro, den Gang runter, die zweite Tür rechts. Die Schüsse haben den beiden ordentlich zugesetzt, sie sind noch sehr mitgenommen.“
„Kameraaufzeichnungen?“
„Sind hier auf dem Stick. Zwei Täter, beide maskiert. Eine Aufnahme würde ich Ihnen gerne zeigen.“ Bell drehte den Monitor zu den beiden Kollegen vom Scotland Yard. „Hier verlassen beide das Flughafengebäude. Einer hatte sich die Maske vom Kopf gezogen. Wir sind noch dabei, den Mann zu identifizieren.“
„Wo sind die beiden hin?“
„Zum Parkplatz. Hier steigen sie in einen Wagen, das Kennzeichen ist nicht zu sehen. Hier fahren sie außer Reichweite der Überwachungskameras, dort taucht der Wagen wieder auf. Wir hoffen, dass er durch eine der Straßensperren gestoppt wird, ich habe eine entsprechende Information bereits rausgegeben. Drücken Sie die Daumen.“
„Sehr gute Arbeit, Gordon.“ Bobby Lancaster steckte den Stick ein. Den Inhalt mussten sie sich später genauer ansehen. Das würde heute auf jeden Fall wieder ein sehr langer Tag werden.
Als Bobby und Sarah Sparks‘ Büro betraten, unterhielten sich Sparks und Leo angeregt in Deutsch, was beide sehr gut verstanden. Sparks sprang sofort auf, als er die beiden Kollegen vom Scotland Yard erkannte. Robert „Bobby“ Lancaster war achtundvierzig Jahre alt und eine lebende Legende unter allen Kollegen, seitdem er vor drei Jahren ein elfjähriges Mädchen aus den Fängen ihres Peinigers befreit hatte. Er hatte damals den richtigen Riecher gehabt, während alle anderen den falschen Spuren nachgingen, die vom Entführer eigens für die Polizei gelegt wurden. Darüber hinaus hatte Bobby den Mann verprügelt, bevor er ihm Handschellen anlegte, was sein Ansehen noch steigerte, auch wenn er deshalb einen fetten Rüffel kassiert hatte. Kevin Sparks salutierte vor Lancaster, dem das sichtlich unangenehm war. Die achtunddreißigjährige Sarah Parker-Green kannte die Reaktion anderer auf ihren acht Jahre älteren Kollegen Bobby und fand das völlig in Ordnung. Von seinen hervorragenden beruflichen Fähigkeiten abgesehen war Bobby ein phantastischer Mensch, auf den sie sich immer voll und ganz verlassen konnte. Er war stets höflich und korrekt, aber wenn er sauer wurde, dann so richtig. Das oberflächliche Geplänkel war schnell vorbei und man grüßte Leo Schwartz abschätzend. Es musste einen Grund gehabt haben, warum Sparks sich diesen Touristen näher vornahm. Sarah Parker-Green registrierte mit einem Schmunzeln das vielsagende T-Shirt des Deutschen, während Lancaster als überzeugter Royalist die Nase rümpfte. Solche Respektlosigkeiten mochte er überhaupt nicht.
„Warum wurde Herr Schwartz einer näheren Überprüfung unterzogen?“, fragte Lancaster.
„Weil ich nur Handgepäck dabei habe und so aussehe wie ich aussehe. Eine Frechheit, wenn Sie mich fragen. Gut, über das T-Shirt könnten wir streiten, aber der Rest ist doch absolut okay“, wandte sich Leo an Sarah, die sich ein Lachen jetzt wirklich nicht mehr verkneifen konnte, als sie die hässliche Tasche bemerkte, die irgendwie zu dem Mann passte. Der riesige Deutsche stach wirklich aus der Reihe, sie hätte ihn sich auch näher angesehen.
„Herr Schwartz kam mir verdächtig vor“, sagte Sparks immer noch stocksteif.
„Und? Haben Sie etwas gefunden, das Ihren Verdacht bestätigt hat?“
„Nein, Sir. Der Mann ist harmlos. Außerdem ist er ebenfalls Polizist.“
„Sie arbeiten bei der Polizei?“
„Ja, bei der Kriminalpolizei, Mordkommission“, fügte Leo nicht ohne Stolz hinzu. Jetzt, da er seinen Job laut ausgesprochen hatte, klang er nicht mehr ganz so schlimm.
„Was denken Sie, warum gerade auf Ihre Tür geschossen wurde?“
„Keine Ahnung. Wenn Sie möchten, könnten wir das gemeinsam herausfinden.“ Leo pokerte hoch. Ob diese steifen Briten auf sein Angebot eingingen?
„Was soll das heißen?“
„Ich würde Sie gerne bei Ihrer Arbeit unterstützen. Ich bin Polizist und da ich annehme, dass ich so schnell das Land nicht verlassen kann, sitze ich hier fest. Ich habe nichts anderes zu tun und biete meine Dienste an.“
Lancaster lächelte zum ersten Mal. Was hatte das zu bedeuten?
„Ruhen Sie sich aus, wir sprechen uns später wieder.“
„Was für ein arroganter Typ“, sagte Leo, als Lancaster und Sarah gegangen waren.
„Wie können Sie es wagen? Bobby Lancaster ist ein Held und genießt großes Ansehen bei allen britischen Polizisten und in der Bevölkerung!“ Sparks war sauer auf Leo. Nachdem sich der Umgang zwischen den beiden gelockert hatte, schlug die Stimmung schlagartig um, was Leo völlig gleichgültig war. Er hatte den Polizisten seine Hilfe angeboten und musste nun warten, ob sie sie annahmen. Ja, er würde sehr gerne wissen, was hinter dem Ganzen steckte, denn nach einem normalen Terroranschlag sah das hier nicht aus. Die Sprengladungen waren geradezu lächerlich. Wenn jemand vorgehabt hätte, wirklichen Schaden anzurichten, hätte man anders vorgehen müssen. Soweit er verstanden hatte, waren nur wenige Schüsse von lediglich zwei Personen abgegeben worden, die meisten davon auf die Tür, hinter der sich Sparks und er befanden. Alles Dinge, die für sein Empfinden gegen einen gut durchdachten Anschlag sprachen.
„Wissen Sie, was ich nicht begreife? Zwei bewaffnete Täter schießen auf einem der größten Flughäfen der Welt um sich. Und die erwischen nur eine einzige Person, obwohl es hier von Menschen nur so wimmelt?“
Auch wenn Sparks immer noch sauer auf Leo war, musste er ihm zustimmen.
„Sie meinen, dass es nicht geplant war, dass es Opfer gibt?“
„Ja, das meine ich. Wenn Sie mich fragen, war das kein typischer Terroranschlag. Entweder haben wir es mit völlig unfähigen Trotteln zu tun, oder es steckt etwas ganz anderes dahinter. Aber was? Ich würde das zu gerne herausfinden. Würden Sie bei Ihrem Vorgesetzten Bell und Ihrem Helden Lancaster ein gutes Wort für mich einlegen?“
Sparks war versucht, sich über Leo und dessen Anliegen lustig zu machen. Allerdings spürte er, dass Leo nicht so falsch mit seiner Einschätzung lag. Auch wenn er Deutsche und ihre Arroganz an sich nicht mochte, hatte die Aufklärung dieses Verbrechens Vorrang. Sparks ging ohne ein Wort und suchte Bell auf.
„Der Deutsche will WAS?“ Im ersten Moment war Bell sprachlos. Dann erinnerte er sich an ein Gespräch, das er mit Commissioner Green geführt hatte. Beide waren absolute Gegner des Brexits und hatten sich ausführlich darüber unterhalten. Und beide befürchteten, von den Europäern ins Abseits gedrängt zu werden, was sie nicht für gut befanden. Hier war ein deutscher Polizist, der als direkt Beteiligter seine Hilfe anbot. Ohne ein weiteres Wort mit Sparks zu wechseln, wählte er Greens Nummer. Er erklärte ihm die Situation.
„Ja, das wäre für die internationalen Beziehungen nicht schlecht. Bleiben Sie einen Moment dran, Bell“, sagte Green, da seine Privatleitung klingelte. Es wurden einige Worte gewechselt. „Bell?“
„Ja, Sir?“
„Nehmen Sie den Deutschen mit ins Boot. Er agiert aber nicht alleine. Stellen Sie ihm einen zuverlässigen Polizisten zur Seite.“
„Mache ich, Sir.“
„Und?“ Sparks war neugierig, denn aus dem Gespräch konnte er nicht entnehmen, wie entschieden wurde.
„Sie haben einen neuen Partner, Sparks.“
„Ich? Warum?“
„Sie sprechen seine Sprache und außerdem kennen Sie sich schon. Machen Sie sich an die Arbeit.“
„Ja, Sir.“ Sparks war absolut nicht begeistert. Er sollte mit diesem Typen gemeinsam arbeiten? Warum wurde er bestraft? Wütend ging er in sein Büro. Leo ahnte bereits, dass sein Anliegen positiv entschieden wurde.
„Sagen Sie jetzt nicht, dass wir beide….?“
„Ja, leider. Ich bitte Sie nur um eins: Gehen Sie mir nicht auf die Nerven!“
„Mal sehen, was ich tun kann. Machen wir uns an die Arbeit.“….